Ich bin dann ´mal da

oder - frei nach Goethe -

„Nur wo man hingelaufen ist, ist man auch wirklich da gewesen!“

Donnerstag, 9. Mai 2013

Tag 89 - 09.05.2013

Nájera - Santo Domingo - 21 km - 2127 km
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18 Stunden in einer Pilgerherberge
So oder so ähnlich könnte zumindest der Untertitel lauten (die restliche Zeit des Tages ist die Herberge wegen 'Aufräumarbeiten' ja geschlossen). Ich werde garantiert KEIN Buch über den Jakobsweg schreiben, aber ein Drehbuch mit obigem Titel wäre jetzt schon drin! Es gäbe nicht nur ein Abend füllendes Programm - mit Überlänge, sondern zwei, drei Folgen an unterschiedlichen Aufenthaltsmöglichkeiten der Pilger: Schlafsaal, Küche, Eßraum, Bad (nein, besser Waschraum - für sich und die Wanderklamotten), ...
Gestern Abend: Die jünste Jugend des Ortes versammelte sich mit Oma/Opa vor der Herberge, um auf dem Platz zu spielen, sich südländisch temperamentvoll zu unterhalten und Musik zu hören - aus dem mitgebrachten Kasettenradio.
Einige Pilger versuchten schon zu schlafen, andere packten Plastiktüten ein und wieder aus, weitere unterhielten sich von Bett zu Bett und andere versuchten zu lesen, so z.B. ich. Mein rechter Bettnachbar, ein Tiroler, packte plötzlich ein Fläschen Latschenkieferöl aus seinem Rucksack und fing an, seine kompletten Beine damit einzureiben. Das muß meinen linken Nachbarn animiert haben, denn er wiederum kramte lange suchend eine kleine Tube aus seinem Kulturbeutel und rieb mit der darin befindlichen Salbe seine Knie ein. Schwupps tauchten plötzlich links oberhalb von mir, vom Stockbett herunterhängend, zwei Damenfüße auf. Zehen und Ballen wurden mit einer Mentholsalbe geschmeidig massiert. Jetzt konnte der Koreaner gegenüber nicht mehr länger warten. Sein kleines Döschen 'Tiegerbalsam' hatte er schnell griffbereit. Beide Knie und Fußgelenke massierte er damit gründlich ein - und lächelte mich dabei an, während mir die Tränen kamen.
Tränen vergoß auch weiterhin das Mädchen, dessen Freund ihr heute Mittag per SMS mitgeteilt hatte, das "Schluss" sei, währen drei Betten weiter eine überglückliche Frau saß und allen Fotos auf ihrem Handy zeigte. Sie ist heute Morgen Großmutter geworden.
Während draußen das quirlige Leben weiter ging, löschte der Herbergsvater um 22 Uhr das Licht. Da aber noch nicht alle Pilger/-innen in ihrem Schlafsack waren, machten sie ihre Stirn- bzw. Taschenlampe an und nun war der gesamte große Raum heller erleuchtet als vorher mit den wenigen Sparlampen.
Der Morgen begann um 04:45 Ihr. Einige packen ihre Sachen mit Stirnlampe - und benötigten dazu mehr als eine halbe Stunde. Zwischenzeitlich standen andere auf, husteten lautstark auf dem Weg zur Morgentoilette ihre Atemwege frei und stolperten über die mitten im Gang liegenden Rucksäcke. An ruhigen Schlaf trotz Ohropax war nicht mehr zu denken. Mir fehlte die Schlafmaske, denn mein linker Nachbar packte nun auch. Mit seinem Halogenstrahler leuchtete er mir permanent durchs Gesicht! Da es dank der anderen herum leuchtenden Frühaufsteher im Raum schon hell genug war (offiziell ging die herbergliche Sparbeleuchtung erst um 06:00 Uhr an), bat ich ihn, doch das Licht auszumachen, schwächer zu schalten oder gar auf rot umzuschalten und "Quiero dormir más"! Keine Reaktion! "Apaga la luz!"
Er fragt nicht einmal 'was' oder 'wie bitte', sondern 'eh?' und leuchtet dabei mir mitten ins Gesicht.
"¿Me estás vacilando?",  entfährt es mir, was ihn zumindest stutzig macht und den Lichtkegel in eine andere Richtung hält. Die junge Frau über mir beugt sich über ihre Bettkante und flüstert mir zu: "Con tigo quero aprender"!
Als das Licht angeht, sind fast alle Betten leer; einige packen noch, andere frühstücken (Kaffee aus dem 1€ Automat + Banane). Da ich grundsätzlich am Vorabend alles fertig packe, bin ich nach einer Viertelstunde abmarsch bereit; hier bleibe ich nicht länger, koche mir auch keinen Kaffee!
Als ich auf den Vorplatz der Herberge trete, brennen noch die Straßenlampen. Es ist dunkel. Sonnenaufgang wäre erst in gut 30 Minuten, doch von dem wird heute keiner etwas mitbekommen. Tief hängen die angekündigten Regenwolken.
Nicht gefrühstückt habe ich mich noch nie auf den Weg gemacht; so kehre ich in der ersten Bar ein und lass es langsam Morgen werden.
Der Weg führte heute durch Weinberge, in denen kräftig gearbeitet wurde. Ab und zu leuchteten Rappsfelder an dem sonst trist grauen Tag.
In der Herberge in Santo Domingo (Casa de le Cofradía del Santo) traf ich auf einen französischen "Bettzuweiser". Als er meinen Pilgerpass abstempelte und sah, wie lange ich schon auf Pilgerreise und dabei durch ganz Frankreich gelaufen bin und mich nun mit ihm auch noch in seiner Muttersprache unterhalten konnte, stand er auf, hieß die hinter mir in der Reihe hier zu warten und führte mich in ein kleines Zimmer unter dem Dach. "Langzeit-Pilgerbonus" sagte er verschmitzt lächeld.

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